01.06.02
/ Alkoholprobleme bei Frauen - Prävention am Arbeitsplatz als
Chance
von Christof Wild-Sieber
Reden wir von Alkoholproblemen in der Gesellschaft, so denken
die meisten spontan zuerst an den alkoholabhängigen Mann, der
auch in der Öffentlichkeit als solcher sichtbar wird.
Von der
Frau sprechen wir vielleicht noch, weil sie als Angehörige unter
dem süchtigen Verhalten eines Mannes leidet und sich selbst oft
co-abhängig verhält. Im Gegensatz zu den Männern entwickelt
sich das Suchtverhalten von betroffenen Frauen eher im Verborgenen.
Hinzu kommt eine starke, gesellschaftliche Tabuisierung, die dazu
führt, dass die Problematik spät als solche wahrgenommen
wird und sich um so rascher verschärft.
Alkoholprobleme von Frauen sind unbedingt unter dem Aspekt der strukturellen
Benachteiligung und der geschlechtsspezifischen Belastungen der Frauen
zu betrachten. Alkoholprobleme von Frauen entstehen und entwickeln
sich häufig innerhalb des familiären und häuslichen
Kontextes. Spezifische Belastungsfaktoren sind: Fixe Rollenerwartungen,
das Abweichen von der Normalbiographie, die Doppelbelastung von Beruf
und Familie, finanzielle Abhängigkeit vom Ehepartner - oft im
Zusammenhang mit der Geburt des ersten Kindes - und weiteres mehr.
Die Abhängigkeitsentwicklung verläuft individuell und unterschiedlich.
Es kann aber gesagt werden, dass Frauen schneller mit körperlichen
Symptomen reagieren, dass sie häufiger exzessive Suchtmuster
aufweisen und mehrheitlich auf Grund von Scham und Schuldgefühlen
heimlich trinken.
Neben geschlechtsspezifischen Belastungsfaktoren spielen bei Frauen
auch Gewalterfahrungen eine grosse Rolle. Es handelt sich dabei oft
um sexuelle, körperliche und psychische Gewalterlebnisse in der
Kindheit und der aktuellen Lebenssituation. Alkoholprobleme
führen bei vielen Frauen auf die Dauer zum Abbruch persönlicher
Beziehungen, bei verheirateten Frauen zu Scheidung und bei vielen
Müttern zum Verlust des Sorgerechts. Um das Risiko der Isolation
und Vereinsamung zu verhindern, braucht eine alkoholabhängige
Frau deshalb in erster Linie viel Unterstützung aus der eigenen
Familie.
Prävention und Früherkennung von Suchtproblemen am Arbeitsplatz
Nach einer in Deutschland durchgeführten Studie, die vor dem
Hintergrund der Salutogenese (Erhaltung und Förderung der Gesundheit)
gemacht wurde, spielt das Ausbildungsniveau und die berufliche Situation
einer Frau offenbar eine wichtige Rolle im Abhängigkeitsgeschehen.
Die überraschende und pointierte Aussage lautet: Je höher
die Ausbildung bei gleichzeitiger Vollbeschäftigung, desto eher
neigen die untersuchten Frauen zu einem höheren Alkoholkonsum.
Während Frauen mit geringen beruflichen Chancen eher zu einem
höheren Medikamentenkonsum neigten (vgl. Alexa Franke, Alkohol-
und Medikamentenkonsum bei Frauen, Juventa Verlag). Ob diese Resultate
auch für die Schweiz Gültigkeit haben, müsste natürlich
vorerst belegt werden. Dass die Wichtigkeit der Erwerbsarbeit auch
bei uns für Frauen zunimmt, ist jedoch unumstritten und hat auch
mit dem sozio-kulturellen Wandel in der Gesellschaft zu tun. Suchtprävention
und Früherkennung von Suchtproblemen am Arbeitsplatz sind grundsätzlich
wichtig. Im Rheintal konnten wir bereits mehrere Schulungen für
Führungskräfte durchführen. Weitere Anstrengungen sind
nötig. Geschlechtsspezifische oder frauengerechte Suchtprävention
stellt für die Suchtarbeit eine weitere Herausforderung dar und
könnte allenfalls eine Chance sein, weitere Zielgruppen von betroffenen
Frauen frühzeitig zu erreichen.
(Für Schulungen melden Sie sich bitte unter Telefon 071 757 78
60 oder über E-Mail).
Christof Wild-Sieber ist Stellenleiter bei der Suchtberatung Oberrheintal
in Altstätten. Er beschäftigt sich seit 1997 im Rahmen von
Schulungen für Führungskräfte mit dem Thema Früherkennung
von Suchtproblemen am Arbeitsplatz.
Quelle: Rheintalische Volkszeitung, 30. Mai 2002