Soziales ist aus Nicht-Sozialem und Sozialem zugleich zu erklären!
(nach Wolfgang Schluchter)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Newsletter Socialia

 

06.09.01 / US-Studie entlastet erwerbstätige Mütter

Mütterliche Erwerbstätigkeit soll die Ursache für verschiedene soziale Probleme sein, so lautet eine weit verbreitete Meinung. Deren Stichhaltigkeit haben Thomas M. Vander Ven u.a. nun empirisch überprüft und ihre Forschungsergebnisse der Fachöffentlichkeit unter dem Titel "Home alone: The Impact of Maternal Employment on Delinquency" (Social Problems, 2001, Vol.49, No. 2, 236-257) vorgestellt.

Als Datengrundlage verwenden die Autoren Daten der Nationalen Längsschnitt-Studie zur Jugend (NLSY). Für die Analyse beziehen sie sich auf ein Sample von 707 Jugendlichen, die 1994 zwischen 12 und 14 Jahre alt waren. Um auch die Auswirkungen einer frühen mütterlichen Erwerbstätigkeit zu erfassen, haben sie dieses Sample bis ins Jahr 1986 zurückverfolgt.
Diese NLSY-Daten beinhalten eine Verzerrung: Von 27% der Kinder waren die Mütter unter 20 Jahre alt bei deren Geburt und in der Konsequenz dann auch weniger gut ausgebildet. D.h. diese Kinder bilden eigentlich eine Risikogruppe.

Den erwerbstätigen Müttern wird gemeinhin unterstellt, dass sie weniger fähig sind, ihre Kinder zu beaufsichtigen und zu disziplinieren, was dann zu deviantem Handeln führen kann. Der Weg von der Muttererwerbstätigkeit zur Delinquenz soll demzufolge also über die mangelhafte elterliche Verantwortungsübernahme führen. Diese Verantwortung fassen die Autoren in Anlehnung an die Delinquenztheorie auf zwei Arten: Einerseits als elterliche Kontrolle (direkter oder indirekter Art), andererseits als elterliche Unterstützung.

Die unabhängige Variable Delinquenz wird in dieser Studie anhand von 9 Dimensionen gemessen: Fünf davon stellen eher moderate Formen von Delinquenz dar (Missachten der elterlichen Ausgangssperre, Unehrlichkeit, schulische Probleme, Schulschwänzen, nachts draussen sein). Vier Dimensionen decken ernsthaftere Formen des Regelbruchs dar (Alkoholmissbrauch, Vandalismus, Ladendiebstahl, Gewalt) (vgl. S.240).

Neben diesen Variablen wurden noch verschiedene andere potentielle Einflussgrössen mitberücksichtigt, z.B. Umfang der mütterlichen Erwerbstätigkeit, Familieneinkommen, Bildung und kognitive Kompetenzen der Mütter) (vgl. S.241ff.).

Sind die Kinder von erwerbstätigen Mütter nun eher delinquent als die andern Kinder? In Übereinstimmung mit andern Studien kommen die Autoren nach der Analyse dieser Daten zum Schluss: "the answer is a qualified 'No'" (S.252). Denn die Untersuchung zeigt, dass erwerbstätige Mütter nur einen kleinen und indirekten Effekt auf die Delinquenz haben, unabhängig davon wie diese gemessen wird. Und dies gilt sowohl für die Erwerbstätigkeit im Vorschulalter wie in der Adoleszenz. Daraus schliessen Vander Ven u.a., dass "the maternal employment-delinquency connection is better understood as a socially constructed problem" (ebd.).

Aus ihren Ergebnissen ziehen die Autoren abschliessend u.a. folgende Schlüsse (vgl. S.253f.):

  1. Mütterliche und familiäre Ressourcen wirken am stärksten auf die Einflussgrössen auf die Delinquenz (wie z.B. elterliche Unterstützung oder Bindung). Dies gilt sowohl für die kognitiven Kompetenzen der Mütter wie auch für das Familieneinkommen.
  2. Die stärksten Prädiktoren für Delinquenz sind gemäss der Analyse die mütterliche Beaufsichtigung, delinquente Peers und die schulische Anbindung.
  3. Mütterliche Erwerbstätigkeit hat keinen Einfluss auf die Kontakte zu delinquenten Peers. Hier wirkt überraschenderweise die Nachbarschaft ein: Der Zusammenbruch der informellen Nachbarschaftskontrolle birgt ein grösseres Risiko für die Kinder, in delinquenten Peer-Gruppen sozialisiert zu werden.
  4. Um Delinquenz zu verhindern, sind die strukturellen Faktoren zu beachten, welche die mütterlichen und familiären Ressourcen begrenzen. "Our study suggests that policy debates should avoid ideological attacks on working mothers, which portray them as leaving their children 'home alone', and concentrate instead on the economic and educational inequalities that weaken families and neighborhoods" (S.254).


Die Zeitschrift "Social Problems" findet sich in der Bibliothek der FHS in Rorschach.

 

 

Wer hat etwas Interessantes gelesen?
Wer kann Neues aus der Fachliteratur beisteuern?
Inputs sind sehr erwünscht!!