11.10.01
/ Sexsucht als neues soziales Problem?
Die
theoretische Auseinandersetzung mit sozialen Problemen (etwa durch
den Soziologen Groenemeyer) hat aufgezeigt, dass sich diese auf soziale
Sachverhalte beziehen, die
1) gemäss gesellschaftlichen Kriterien bzw. Werten als veränderungswürdig
angesehen,
2) als veränderbar wahrgenommen,
3) öffentlich wahrgenommen und thematisiert, d.h. sozial konstruiert
und
4) zum Gegenstand spezieller Massnahmen werden.
Dieser
Prozess lässt sich gegenwärtig schön am Beispiel der
sogenannten Sexsucht beobachten. Ist diese in den Medien schon seit
einiger Zeit ein Thema, so wird sie in jüngster Zeit auch noch
von anderen DefinitorInnen thematisiert: von Selbsthilfegruppen und
VertreterInnen der Gilde der Psycho- bzw. Suchttherapie.
Bernhard
Strauss vom Institut für Medinische Psychologie in Jena widmet
sich nun in der Fachzeitschrift Sucht (2001,
Jg.47, H.2, 82-87) diesem
Thema: "Sexsucht - Klinische Aspekte süchtigen sexuellen
Verhaltens" lautet der Titel. Sexsucht als progressiv verlaufende
Beschäftigung mit Sexualität, die sich schwer regeln und
einschränken lässt, wird gemäss dem Autor auf drei
Arten eingeordnet:
Eine erste Position bewertet die Symptomatik als Sucht, da
Sexualität den Charakter einer Droge besitze und diese Form von
Sucht häufig mit andern Abhängigkeiten gekoppelt sei. Eine
zweite Position ordnet dieses Verhalten aufgrund der angstreduzierenden
Wirkung sexueller Praktiken den Zwangsstörungen zu. Eine
dritte Position schliesslich interpretiert die Symptome als eine Störung
der Impulskontrolle.
Über die Verbreitung wie auch die Ursachen der sog. Sexsucht
liegen noch keine empirischen Befunde vor. Allerdings liegen nach
Strauss Kriterien zur Früherkennung sexueller Süchtigkeit
vor:
- Ausagieren eines Musters unkontrollierbaren Sexualverhaltens
- Schwerwiegende Konsequenzen als Folge persistierend selbstdestruktiven
sexuellen Verhaltens
- Anhaltender Wunsch bzw. Bemühungen, sexuelles Verhalten einzuschränken
- Entwicklung sexueller Phantasien als primäre Coping-Strategien
- Kontinuierliche Zunahme an sexuellen Aktivitäten augrund eines
Unbefriedigtseins mit den bisherigen Erfahrungen
- Ausgeprägte Stimmungsschwankungen in Verbindung mit Sexualität
- Ungewöhnlicher Zeitaufwand für die Suche nach sexueller
Betätigung, für sexuelle Handlungen und die Erholung nach
solchen Handlungen
- Vernachlässigung wichtiger sozialer und beruflicher Verpflichtungen
sowie von Freizeitaktivitäten aufgrund sexueller Betätigung.
Auf der Grundlage dieser Kriterien liegen nun auch schon Screening-Instrumente
vor.
Das Ziel der psychotherapeutischen Ansätze, vor allem in der
Form von Verhaltenstherapien, besteht darin, die Kontrolle über
das sexuelle Verhalten (wieder) zu erreichen.