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Newsletter Socialia
05.05.01
/ Autoritäre Persönlichkeit oder autoritäre Reaktion auf Verunsicherung?
Zur Erklärung
von Antisemitismus und Faschismus entwickelten Adorno u.a. in den 40er
Jahren das Konzept der autoritären Persönlichkeit. Autoritär strukturiert
sind demzufolge Menschen, die sich gegen oben unterordnen, sich aggressiv
gegen Schwächere und Minderheiten verhalten und zu konventionellem Wohlverhalten
neigen.
Für Oesterreich gilt dieses Konzept inzwischen als überholt. Ähnlich
wie die Massenpsychologie von Le Bon und Freud geht er nun davon aus,
dass autoritäres Verhalten nicht an bestimmte Persönlichkeitsmerkmale
gebunden, sondern situationsspezifisch erzeugt wird (vgl. S. 281). In
Situationen, die den Einzelnen verunsichern und verängstigen, sucht
dieser Schutz bei Instanzen, die ihm (z.T. vermeintlich) Sicherheit
bieten und denen Autorität zugeschrieben wird.
Oesterreich wendet dieses Konzept nun auf die Entwicklung politischer
Orientierungen und das politische Verhalten an (vgl. S.283ff.): In Krisen
wird jenen vertraut, die Schutz und Sicherheit bieten können, in der
Regel den Mächtigen, den Regierenden. Das bedeutet, dass die autoritäre
Reaktion zu einer Orientierung an der Macht und nicht an extremen politischen
Gruppen führt. Erst wenn die Schutz suggerierenden Autoritäten versagen
bzw. die Hoffnungen nicht erfüllen, erhalten radikale Gruppierungen
eine Chance.
In empirischen Untersuchungen von 1991 bis 1997 hat Oesterreich diesen
Ansatz für Deutschland überprüft. Die Ergebnisse fasst er folgendermassen
zusammen: "Die Welle rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland der
Jahre 1991 bis 1993 kann auf ein (...) Versagen von Autoritäten in einer
schweren Krisensituation zurückgeführt werden. (...) In vier empirischen
Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sich bei Ost- und Westberliner
Jugendlichen diejenigen, die von dieser Krisensituation am stärksten
betroffen waren, die radikalsten politisch rechten Einstellungen entwickelt
haben. Infolge des Abflauens zumindest der ökonomischen Krise in den
Jahren 1994 und 1995 haben sich die rechtsextremistischen Orientierungen
zurückentwickelt und, nachdem der Osten Deutschlands erneut in eine
extreme Krisensituation geraten ist, zwischen 1995 und 1997 wieder verstärkt.
Die gleiche Entwicklung lässt sich auf der Ebene einer Analyse rechtsextremistischer
Gewalttaten belegen" (S.295f.).
Quelle:
Oesterreich, Detlef (2001): Massenflucht in die Sicherheit? Zum politischen
Verhalten autoritärer Persönlichkeiten. Theoretische Überlegungen und
Ergebnisse von vier empirischen Untersuchungen. In: Loch, Dietmar/Heitmeyer,
Wilhelm (Hg.): Schattenseiten der Globalisierung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp,
275-297
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