Soziales ist aus Nicht-Sozialem und Sozialem zugleich zu erklären!
(nach Wolfgang Schluchter)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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13.04.01 / Soziale Arbeit als Inklusions- oder als Integrationsarbeit?

Heiko Kleve hat sich im Artikel "Integration/Desintegration und Inklusion/Exklusion" (In: Sozialmagazin, 2000, Nr.12, 38-46) dagegen ausgesprochen, die Begriffspaare "synonym zu verwenden, wie man dies derzeit jedoch noch beobachten kann"(38). Inklusion bedeutet für ihn - in Anlehnung an das Luhmann'sche Verständnis - "eine über Rollen differenzierte nur ausschnitthafte soziale Teilnahme von Menschen an gesellschaftlichen Systemen" (40). Demgegenüber versteht er Integration als ganzheitliche (d.h. die ganze Person einbeziehende), lebensweltliche Zugehörigkeit zu Gruppen, Familien, Kollektiven usw.

Er behauptet nun, dass man in der Sozialen Arbeit immer noch davon ausgehe, Integrationshilfen leisten zu müssen. Damit gehe sie implizit davon aus, dass "desintegrierte Menschen problembelastete Menschen, denen hinsichtlich einer (wieder)herzustellenden Integration geholfen werden müsse" (40). Damit werde aber verkannt, dass Menschen in modernen Gesellschaften zwar in die Lebenswelt integriert werden könnten, jedoch nicht in die Handlungsfelder von Politik, Wirtschaft, Bildung usw. In diese Teilsysteme könnten sie nur inkludiert werden.

Die Funktion der Sozialen Arbeit besteht für ihn daher in der Vermittlung von Inklusionen. Dabei leistet sie "tendenziell keine Integrationshilfe mehr" (42). Es sei teilweise sogar so, dass zu stark normativ verpflichtende Integrationen (beispielsweise die Mobilitätsbereichtschaft senken und damit) die Inklusionsmöglichkeiten verringern würden. Seine These lautet daher: "Damit Menschen in die Gesellschaft inkludiert werden können, müssen sie potentiell sozial desintegriert bzw. eher lose integriert sein (...) und genau dabei, nämlich eine solche potentielle soziale Desintegration bzw. eher lose Integration auszuhalten bzw. zu erreichen, hilft Soziale Arbeit" (39).

Auf diese Ausführungen antwortet nun Roland Merten "Soziale Arbeit als Inklusions- oder als Integrationsarbeit. Kleine Anmerkungen zu einem grossen Entwurf" (Sozialmagazin, 2001, Nr.3, 42-48). Im Hinblick auf den Integrationsbegriff hält er Kleve vor, nur die Klassiker Durkheim und Parsons rezipiert zu haben und neuere Positionen überhaupt nicht wahrzunehmen. Dazu bemerkt er süffisant: Zwar könne ein Wissenschaftler nicht alle Publikationen zur Kenntnis nehmen. "Aber ein derart fundamentaler Angriff (...) nötigt doch zu etwas mehr Sorgfalt und Umsicht. Ansonsten entsteht der unappetitliche Eindruck, dass die Gegenposition zu einem Popanz aufgebläht wird, auf den man dann einschlägt" (43).

Bezüglich der Theoriearbeit wirft er Kleve im nächsten Schritt vor, die Luhmannsche Systemtheorie mit anderen Theorieangeboten (Parsons, Habermas, Beck) zu vermengen, ohne sich über die Kompatibilität Rechenschaft abzulegen. Zudem verwende er den Inklusionsbegriff als normatives Konzept, "während Integration ihres (zugeschriebenen) normativen Charakters von Kleve aufs Heftigste kritisiert wird" (45).

Merten kritisiert zudem, dass Kleve den eigenwilligen Eindruck erwecke, in moderne Gesellschaften handelten nur noch vereinzelte Individuen, die allein unter funktionalen Gesichtspunkten aufeinander bezogen seien. Diese These vom Zerfall von Gemeinschaften lasse sich empirisch nicht halten.

Zur Integrationsfunktion der Sozialen Arbeit bemerkt Merten, dass er den Begriff der Integration offen bzw. inhaltsleer verstehe. "Denn der Begriff der (sozialen) Integrationsarbeit lässt bewusst offen, ob diese positiv (Integration) oder negativ (Desintegration) erfolgt" (47). So könne die Integrationsarbeit - wie das Beispiel von rechtsextremistischen Jugendlichen zeige - zunächst in der Desintegration, also im Auflösen von bestehenden Zugehörigkeiten bestehen.

 

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