Soziales ist aus Nicht-Sozialem und Sozialem zugleich zu erklären!
(nach Wolfgang Schluchter)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Newsletter Socialia

 

08.08.01 / Ausländerfeindlichkeit bei BerufsschülerInnen

Der Nürnberger Soziologe Johann Bacher rückt unter dem Titel "In welchen Lebensbereichen lernen Jugendliche Ausländerfeindlichkeit?" (KZfSS, Jg.53, H.2, 2001, 334-349) eine bestimmte Gruppierung von Jugendlichen ins Rampenlicht: BerufsschülerInnen.
Diese zeigen gemäss einzelnen Studien nämlich häufiger fremdenfeindliche Einstellungen als SchülerInnen anderer Schulformen. Zudem werden sie in der Jugendforschung weitgehend vernachlässigt. Dies waren Gründe für die Durchführung einer repräsentativen Befragung von 374 Nürnberger BerufsschülerInnen im Jahre 1999. Der Beitrag des Autors stellt den theoretischen Erklärungsansatz und ausgewählte Ergebnisse dieser Studie vor.

Zur Erklärung von Ausländerfeindlichkeit bzw. von Rechtsextremismus werden gegenwärtig vier Konzepte vertreten, die summarisch vorgestellt werden:
a) Der Modernisierungsprozess führt zu Verunsicherungen, welche durch eine Zuflucht zu rechtsextremen Orientierungen und Handlungen reduziert werden sollen (modernisierungstheoretischer Ansatz).
b) Aggressives und delinquentes Verhalten von Jugendlichen resultiert aus einer erfolglosen Bewältigung von Belastungen (stresstheoretische Erklärung).
c) Autoritäre Erziehungsbedingungen werden als Ursache einer autoritären Persönlichkeit angesehen (persönlichkeits- und sozialisationstheoretischer Ansatz).
d) Rechtsextreme Handlungen werden auf eine fehlende bzw. geringe formelle und informelle Sanktionierung zurückgeführt (kontrolltheoretischer Erklärungsansatz).

Für Bacher sind diese Erklärungsansätze unbefriedigend, da sie nicht erklären können, warum gerade Ausländerfeindlichkeit/Rechtsextremismus als Reaktionsform und nicht eine andere gewählt wird (Ansatz a und b). Die Kontrolltheorie könne dagegen nicht erklären, wieso überhaupt ausländerfeindliche Einstellungen vorliegen.
Zur Ergänzung dieser Ansätze bezieht er sich daher auf den lerntheoretischen Ansatz, den Sutherland in den 40er Jahren formuliert hat. Diesem seither weiterentwickelten Ansatz zufolge wird kriminelles Verhalten durch Assoziationen in verschiedenen intimen Gruppen erlernt: Wenn sich die Eltern zuhause ausländerfeindlich äussern, wenn das Kind dann in Begleitung des Vaters dessen Freunde trifft, die ausländerfreindliche Witze machen, wenn es später auf Freunde trifft, die ausländerfeindlich sind, so überwiegen Assoziationen in Richtung Ausländerfeindlichkeit und erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Einstellung.

Die Studie geht nun der Frage nach, wo diese Ausländerfeindlichkeit erworben wird. Zunächst zeigt sich, dass über ein Viertel der Befragten eine stark ausländerfeindliche Haltung hat. Darunter befinden sich insbesonders männliche Lehrlinge und BerufsschülerInnen mit geringerer schulischer Vorbildung. Kein Zusammenhang besteht zwischen der Ausländerfeindlichkeit und der Schul- und Berufsausbildung der Eltern sowie der Familienstruktur.
Der Ort, wo ausländerfeindliche Einstellungen gelernt werden, ist die F
amilie und der Freundeskreis. "Ausländerfeindlichkeit nimmt (...) zu, wenn der/die Jugendliche in einer ausländerfeindlichen Familie aufwächst und/oder einen ausländerfeindlichen Freundeskreis hat" (S.342f.). Für den Arbeitsplatz und die Schule kein solcher Wirkungszusammenhang nachgewiesen werden.

Der Autor widmet sich abschliessend den Fragen der Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit: "Bemühungen in der Schule und am Arbeitsplatz sind nicht erfolglos, vor einer allzu grossen Euphorie ist aber zu warnen. Der Einfluss der Berufsschule ist aufgrund der Ergebnisse gering einzustufen. Entscheidende Faktoren sind die Familie und die Freunde, die den Einfluss der Schule und des Arbeitsplatzes konterkarieren können." (S. 346).
Schule und Betrieb sollten jedoch ausländerfeindliche Äusserungen nicht einfach hinnehmen, sondern jeweils einschreiten. Denn die Ergebnisse deuten auch "darauf hin, dass zwar Jugendliche mit bereits ausgeprägten ausländerfeindlichen Haltungen nicht bekehrt, aber ausländerfreundliche Schüler und Schülerinnen in ihren Einstellungen gestärkt und jene mit nur einer ausländerfeindlichen Tendenz zum Nachdenken über ihre Haltungen angeregt werden können. Zielgruppen von Massnahmen sollten daher nicht nur ausländerfeindliche Jugendliche sein, sondern auch Jugendliche mit offenen, ausländerfreundlichen oder nur schwach ausgeprägten ausländerfeindlichen Einstellungen" (ebd.).

 

 

Wer hat etwas Interessantes gelesen?
Wer kann Neues aus der Fachliteratur beisteuern?
Inputs sind sehr erwünscht!!