Soziales ist aus Nicht-Sozialem und Sozialem zugleich zu erklären!
(nach Wolfgang Schluchter)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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24.05.01 / Armut (trotz Erwerbsarbeit) in der Schweiz

Dass auch in der Schweiz Erwerbsarbeit nicht vor Armut schützt, verdeutlicht der Artikel "Working poor in der Schweiz" von Elisa Streuli und Tobias Bauer in info:social (April 2001, Nr.5, 5-32). Sie präsentieren darin die Hauptergebnisse ihrer Untersuchung, die auf Daten der Schweiz. Arbeitskräfteerhebung (SAKE) der Jahre 1991 bis 1999 basieren. Ein Ziel dieser Studie bestand darin, "Grundlagen für den geplanten Aufbau der Armutsberichterstattung zu erarbeiten" (S.5). Arm sind ihrer Definition zufolge Menschen, deren Einkommen unterhalb der SKOS-Richtlinien liegen (Grundbedarf I + II + Miete + Krankenversicherung). Working poor sind Arme, die mindestens einer Stunde Erwerbsarbeit pro Woche nachgehen. Zusätzlich wird aber bei den Ergebnissen zwischen "Vollzeit-Working Poor" (Erwerbsgrad des Haushalts von mind. 90%) und "Teilzeit-Working Poor" (alle übrigen) unterschieden (vgl. S. 8).

1999 waren in der Schweiz 6% der "Vollzeit-" bzw. 29% der "Teilzeit-Erwerbstätigen" arm. Streuli/Bauer konnten unter ihnen neun Bevölkerungsgruppen identifizieren, die besonders gefährdet sind, Working Poor zu werden:
Frauen,
Eltern mit mehreren Kindern,
Alleinerziehende,
ausländische Staatsangehörige,
wenig Ausgebildete,
in Tieflohnbranchen Tätige,
Beschäftigte in Teilzeit- und flexibilisierten Arbeitsverhältnissen,
Selbständige ohne Angestellte und
Personen mit Erwerbsunterbrüchen und kurzer Betriebszugehörigkeit (vgl. S. 13ff.).

Die Ursachen für das Phänomen können nicht auf einen einzelnen Faktor zurückgeführt werden: "Vielmehr bestimmt ein komplexes Zusammenspiel von arbeitsmarktlichen und sozialpolitischen Faktoren, der Familiensituation und der Entwicklung der Lebenshaltungskosten, ob jemand trotz Erwerbsarbeit unter der Armutsgrenze lebt oder nicht. Dabei kristallisieren sich drei hauptsächliche Armutsrisiken heraus: Tieflohn, Kinder und stark steigende Zwangsausgaben" (S. 30). Massnahmen zur Verbesserung der Situation hätten denn auch bei Verminderung dieser Risiken anzusetzen.

Aufgrund des engen finanziellen Spielraums sind Working Poor gezwungen, sich in verschiedenen Ausgabenbereichen einzuschränken. Die Hälfte von ihnen schränkt sich ziemlich stark bei den Anschaffungen ein; 41% bei Ferien und Ausflügen, 39% beim Ausgang, 30% bei der Kleidung und 29% bei der Freizeit. Bedenklich ist, dass sich 27% bei der Weiterbildung und 18% beim (Zahn-)Arzt ziemlich stark einschränkt.

Im Jahresvergleich zeigt sich ein Anstieg der Working-Poor-Quote, wobei vor allem zwischen 1995 und 1996 ein Bruch festzustellen (Anstieg von 4.9% auf 7.3%). Die AutorInnen erklären dies mit Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt (Lohnentwicklung, Zunahme von Solo-Selbständigen und nicht dauerhaften Arbeitsverträgen). Geradezu dramatisch erhöht hat sich in den 1990er Jahren die Working-Poor-Quote bei den Alleineltern und bei den Eltern mit drei und mehr Kindern (vgl. S. 25).

Der Gesamtbericht dieser Studie ist für den kommenden Herbst als BFS-Publikation angekündigt.


In der gleichen Zeitschrift äussert sich Urs Rey zusammenfassend zur "Armut im Kanton Zürich und in der Schweiz" (S.33-41). Grundlage für seine präsentierten Ergebnisse sind wiederum SAKE-Daten (für die Jahre 1991, 1995 und 1999) und als Armutsgrenze wird ebenfalls auf die SKOS-Richtlinien Bezug genommen (allerdings wird nur der Grundbedarf I + II miteinbezogen) (vgl. S.34).

Die gesamtschweizerischen Ergebnisse überschneiden sich teilweise mit denjenigen von Streuli/Bauer. Interessant ist vielleicht folgendes:
Die Armutsquote im Kanton Zürich ist 1999 (unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Preisniveaus) mit 6.9% deutlich tiefer als in der gesamten Schweiz (10.6%).
Leicht überdurchschnittlich armutsbetroffen sind Paare mit Kindern. Das höchste Armutsrisiko im Kanton Zürich haben Alleineltern, leben doch 16% von ihnen unter der Armutsgrenze. In der Schweiz beträgt dieser Anteil 20%. Diese Zahlen decken sich im übrigen mit den Ergebnissen unserer Befragung (Gregor Husi/Marcel Meier Kressig, 1995, Alleineltern und Eineltern. Seismo): Für das Jahr 1991 zeigte sich ebenfalls unter Berücksichtigung der SKOS-Grenze bei den befragten Alleineltern eine Armutsquote von 14.7%.

Ein ausführlicherer Artikel von Rey ist publiziert in den "Statistischen Berichten des Kantons Zürich" (4/2000); zu beziehen unter Tel. 01 225 12 00.

Die Zeitschrift "info: social" findet sich in der Bibliothek der FHS.

 

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