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ULRIKE BRUNOTTE
Hier grad, dort krumm
Pierre Bourdieu sucht nach der heimlichen Magie männlicher Herrschaft
Hier schreibt einer über die "ernsten und mitunter brutalen Spiele
männlicher Herrschaft und Ehre", der es wissen muss. Bis zu seinem Tod
im Januar 2002 hatte Pierre Bourdieu den Lehrstuhl für Soziologie am
Collège de France inne, er gab eine eigene Zeitschrift heraus und
regierte über ein ganzes Forschungszentrum inmitten der angesehenen
Écoles des Hautes Études en Sciences Sociales. So löste sein Buch Die männliche Herrschaft
1998 in Frankreich denn auch vor allem eine kontroverse Mediendebatte
um die Person Bourdieu aus, deren Bild die Titelblätter von Nouvel Observateur und Télérama zierte.
Gleichwohl
wirft das Buch zwei wichtige Fragen in Sachen Gender und Macht auf:
Warum hat die Herrschaft von Männern über Frauen Jahrhunderte
überdauert, und warum begegnet man ähnlichen Formen männlicher
Herrschaft in unterschiedlichsten Gesellschaften und Kulturen? Dabei
interessiert sich Bourdieu nicht allein für die "außerordentliche
Autonomie der Geschlechterstrukturen gegenüber den ökonomischen
Strukturen", sondern vor allem für die "magischen und rituellen" Wege,
auf denen es der "symbolischen Gewalt" gelingt, die Zustimmung und
Mithilfe der Beherrschten zu erlangen.
"Ich habe in der
männlichen Herrschaft und in der Art und Weise, wie sie aufgezwungen
und erduldet wird", schreibt er bereits in der Einleitung, "immer das
Beispiel schlechthin für diese paradoxe Unterwerfung gesehen, die eine
Folge dessen ist, was ich die symbolische Gewalt nenne." Im ersten Teil
des Buches nimmt er seine frühen ethnologischen Studien zu den Berbern
der Kabylei wieder auf und versucht, die Analyse einer "durch und durch
nach dem androzentrischen Prinzip organisierten Gesellschaft" als
"objektive Archäologie unseres Unbewussten" zu betreiben.
Im
symbolisch und rituell geschlossenen System der Kabylen kann die
dauernd geleistete Arbeit der "Vergesellschaftung des Biologischen",
die Einschreibung der Geschlechterdifferenz in die Körper wie unter der
Lupe studiert werden. Dort bildet die Sexualität keinen gesonderten
Bereich. Der gesamte soziale Kosmos ist vielmehr geschlechtlich
codiert. Die Einteilung aller Dinge und Handlungen nach dem binären
Code männlich/weiblich entspricht einer wertenden Hierarchie und erhält
zugleich den Schein von Notwendigkeit durch ihre Eingliederung in ein
System von Gegensätzen: hoch/tief, oben/unten, rechts/links,
gerade/krumm, hart/weich, draußen/drinnen.
In dieser Welt
bestätigen sich kognitive, körperliche, materielle und kosmische
Einteilungen ständig und zirkulär. Die "gesamte soziale Ordnung", so
Bourdieu, "funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur
Ratifizierung der männlichen Herrschaft". Daher hat die
magisch-rituelle Zurichtung der Kinder, ihre Verwandlung in Jungen und
Mädchen, eine so zentrale Funktion. Das gilt, damit sagt Bourdieu
nichts Neues, auch für das Familien- und Schulsystem der europäischen
Gesellschaften.
Was einige Kritiker als unhistorisch betrachten,
nämlich die Übertragung der Untersuchungsergebnisse aus der
"androzentrischen Welt" der Kabylei auf moderne europäische
Gesellschaften, besticht gleichwohl durch die detailgenauen
Darstellungen des täglichen "doing gender". Dabei zeigt Bourdieu, wie
in unzähligen Ritualen, Bildern, Interaktionen und Wertmustern in
Familie, Schule, Hochschule und Beruf Frauen tendenziell immer noch
herabgesetzt, unsichtbar und letztlich zu Objekten der männlichen
Ordnung gemacht werden.
Am luzidesten wird seine Analyse dort,
wo er sein Habituskonzept zum Verständnis der unbewusst verlaufenden
Partizipation der Frauen am Kosmos männlicher Herrschaft heranzieht. Es
ist die symbolische Gewalt, die jenseits allen physischen Zwangs
unmittelbar und "wie durch Magie auf die Körper" ausgeübt wird, die
sich in Habitus verwandelt. Und es ist gerade die Übernahme des
männlichen Blickwinkels durch die Frauen, die ganz deutlich zeigt, was
Beherrschung bedeutet: verinnerlicht zu haben, was einen zerstört. Dass
das männliche Privileg freilich auch für die Männer "eine Falle" ist,
zeigt Bourdieu durch Virginia Woolf. Besonders Woolfs Roman Zum Leuchtturm
liefere eine minuziöse Analyse von der verzweifelten Anstrengung, die
ein Mann aufwenden muss, um seiner kindlichen Idee von Männlichkeit zu
entsprechen.
Innerhalb der Forschung situiert sich Bourdieu mit
diesem zuweilen schwer lesbarem und stilistisch nicht allzu elegantem
Buch selbst als ein engagierter "feministisch" orientierter
Sozialhistoriker. Es geht ihm darum, den historischen Prozess zu
enthüllen, der die androzentrisch kodierten Geschlechterverhältnisse
quasi als zweite Natur erscheinen lässt. Indem er freilich am binären
Code von männlich/weiblich und an der Prämisse einer kollektiven
Herrschaft von Männern über Frauen festhält, übersieht er die
intermaskulinen Herrschaftsverhältnisse, wie sie bereits Mosse, aber
vor allem Connell beschrieben haben.
Die männliche Herrschaft
hat in Frankreich von feministischer Seite vielfache Einwände erfahren.
So wurde Bourdieu einerseits vorgeworfen, die immense
Forschungsliteratur der Gender Studies nur höchst sporadisch zu
zitieren. Ein zweiter Vorwurf lautete, es fehle eine Perspektive, wie
denn männliche Herrschaft in zeitgenössischen Gesellschaften in Frage
gestellt werden könne. Und in der Tat, Bourdieu diskutiert zwar in
einem Kapitel Veränderungen, die es Frauen ermöglichen, die Gesetze der
männlichen Herrschaft zu erschüttern, er betont aber - und das klingt
manchmal etwas fatalistisch - vor allem die Konstanz im Wandel.
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Pierre Bourdieu Die männliche Herrschaft Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, 211 Seiten, 19,90 Euro. |
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Dennoch: Bourdieus Buch ist zu begrüßen und zu empfehlen. Nicht zuletzt
sein großer Erfolg in Frankreich zeigt, dass das Unbehagen in der
Geschlechterordnung auch die "Männlichkeit" und die Männer erreicht
hat. Vielleicht ist dazu ein Buch, das aus der Mitte des maskulinen
Kosmos kommt und von einem, der seine Regeln wie wenige andere
beherrschte, notwendig.
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 15.03.2005 um 16:37:13 Uhr
Erscheinungsdatum 16.03.2005